NOI ŞI IMAGINILE.
Cum folosim imagini.
Der Vortrag von Richard Schindler in der Galeria de Artă Contemporană, Sibiu (Rumänien) ergänzte Ausstellung und Workshop im Nationalmuseum Brukenthal im Jahr 2007, als Sibiu Kulturhauptstadt Europas war.
Sehr geehrter Herr Professor Luca!
Mult stimate domnule profesor Luca!
Herzlichen Dank für die freundliche Aufnahme in Ihrem Haus - insbesondere für die Zeit, die Sie sich für unsere Gespräche genommen haben. Ich weiß, dass Sie in diesen Zeiten des Umbruchs und Aufbaus allerorten gebraucht werden und Ihnen unter diesen Umständen wenig Gelegenheit zum Austausch bleibt. Leider konnten wir deshalb die Differenzen hinsichtlich der zeitgenössischen Kunst im Museum Brukenthal nicht gemeinsam erörtern. Da Ihre unterschiedlichen Positionen aber Teil eines öffentlich – auch international – geführten Diskurses sind, möchte ich Sie herzlich bitten und einladen für den geplanten Ausstellungskatalog Ihre diesbezüglichen Überlegungen darzulegen und Ihren Standpunkt zu plausibilisieren. Dies scheint mir lohnenswert und fruchtbar für die aktuelle Diskussion.
Die Frage nach dem Verhältnis von Vergangenem und Gegenwärtigem, die, soweit ich Sie verstanden habe, Ihren Positionen auch zugrunde liegt, ist ja bereits 1789 von Friedrich Schiller in seiner Antrittsvorlesung in Jena aufgeworfen (Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte) und von Friedrich Nietzsche, rund 100 Jahre später, mit Nachdruck verschärft worden. Seither ist sie nicht wieder zur Ruhe gekommen. Welchen „Nutzen und Nachteil die Historie für das Leben“ hat, ist auf das Engste verbunden mit der Frage, welche Rolle die jeweils zeitgenössische Kunst für das Selbstverständnis der Gegenwart – und damit auch für ihre Vergangenheit und ihre Zukunft - hat. Hinsichtlich der Institutionen, die, wie Museen, das Vergangene bewahren, scheinen Schiller und Nietzsche jedenfalls einig mit Martin Luther, wenn er von der Kirche sagt, sie sei für die Menschen da und nicht die Menschen für die Kirche.
Auch historische Kunstwerke waren einmal neue Kunstwerke. Und die aktuellen, zeitgenössischen Kunstwerke sind mit den etablierten der Vergangenheit nicht weniger verwandt, als es jene untereinander sind. Bildende Künstler heute sind stolz Kollegen von Leonardo da Vinci und Michelangelo zu sein. Und sie sind sich der damit verbundenen Verantwortung und Verpflichtung bewusst.
Für älteste Bildwerke der Vergangenheit gilt nicht in gleichem Maße, was für historische kulturelle Artefakte sonst gilt: Wie Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte der Bibel lehren, bedürfen religiöse Texte zum Beispiel der Aktualisierung in Predigt und zeitgenössischer Auslegung, um für die jeweilige Zeit anschlußfähig zu bleiben und nicht, wie Hegel einmal sagte, zu bloß historischen Dokumenten herunter zu kommen, „vor denen wir die Knie nicht mehr beugen“. Ohne diese Aktualisierungen ist die Überlieferung bloßer Rückstand vergangener Lebenswelten, stummer Zeuge, der uns nichts mehr angeht und uns nichts bedeutet.
Demgegenüber sind gelungene Bildwerke gültige Ausdrucksgestalten, die jederzeit zu berühren vermögen. Mein ursprüngliches Ausstellungskonzept „Cum folosim imagini“ sollte deshalb Aspekte des Umgangs mit den historischen Bildbeständen im Museum beleuchten und so dem reflexiven Zugang der Besucher öffnen.
Bei Durchsicht und Studium des modifizierten Ausstellungskonzepts werden Sie feststellen, dass ich der Aufforderung des Generaldirektors, das Museumsgebäude in den Innenhof und den Eingansbereich hinein zu verlassen, nicht nur gefolgt bin, sondern dass ich sie meinerseits in den Stadtraum hinein verlängert habe. Zwei Arbeiten sind jetzt gänzlich außerhalb des historischen Gebäudes angesiedelt: im gegenüberliegenden Haus des Tourismusbüros und auf der Großleinwand in der N. Straße. Dennoch geben sie natürlich die Verbindung zum Brukenthal Museum, und der Zeit die es bewahrt, nicht preis.
Da der Generaldirektor der zeitgenössischen Kunst die Tür gewiesen und aus den Räumen des Museums verbannt hat, war es vor dem Hintergrund meiner bisherigen Arbeit nahe liegend, genau diesen Umstand zu thematisieren und meine Arbeit darauf zu fokussieren: der neue Projekttitel lautet „The Doors – cum folosim imagini“ – wohl wissend, dass ich mich damit nicht nur in eine große künstlerische Tradition stelle (von Auguste Rodin und Marcel Duchamp bis Joseph Beuys, Robert Rauschenberg und Ilya Kabakov), sondern darüber hinaus auch ein zentrales kulturelles Element der rumänischen Gesellschaft aufgreife. Türen sind offenbar generell Konkretionen jenes prekären Bereichs des Übergangs vom Privaten zum Öffentlichen, vom Alltäglichen zum Außeralltäglichen, vom Leben zum Tod. In diesem Sinn wird, wie Sie dem Konzept entnehmen werden, das Portal des Brukenthalmuseums freigestellt und ausgestellt.
Während im ersten Konzept die aktuellen Werke in den Kassenraum vordringen und dort sich mit den Kunstpostkarten gemein machen, holt das modifizierte Konzept umgekehrt die Kunstpostkarten aus diesem Raum heraus, um sie in der Eingangspassage dekorativ und bei-läufig fast als eigenständige Werke auszustellen. Die direkte Tuchfühlung, die im ersten Konzept Vergangenheit und Gegenwart aneinander schmiegt (in der Konstellation eines Kool Killer Objekts mit einem Bild aus dem Museumsbestand), ist zugunsten des größtmöglichen Abstandes (im Videobild in der N. Straße) aufgegeben, um gerade dadurch dem Museum die Treue zu halten. Wurde im ersten Konzept der Kassenraum zum Showroom von Reproduktionen, Original und Camouflage umgenutzt, wird im zweiten Konzept mit Hilfe eines „Lichtkoffers“ gleichsam massives Licht ins Dunkel des Kellereingangs draußen gebracht.
Während im ersten Konzept die Videoinstallation in den Treppenaufgängen zu den Ausstellungsräumen eine Reflexion des Besuchers auf sich selbst als Betrachter initiieren sollte, demonstriert das zweite Konzept den Grenzgang des Betrachters im Niemandsland jenseits alltäglicher Zäune: Der Besucher schreitet zwischen den Welten „Runnig Fence: Sibiu“ und „Running Fence: Freiburg“ und an ihnen entlang. Der Übergang vom Alltäglichen zum Außeralltäglichen der Kunst wird als Durchgang, als der primäre Erfahrungsraum von Kunst heute bestimmt.
Ich verbinde damit die Hoffnung, dass Alt und Neu, Diesseits und Jenseits, Hier und Dort, Oben und Unten, Hell und Dunkel, Ferne und Nähe, Billig und Teuer, Fremd und Vertraut, Anwesenheit und Abwesenheit in ein spannungsvolles neuartiges Miteinander geschieden und verschränkt sind und als solches Miteinander wahrnehmbar werden.
Auch bildkünstlerische Reflexion kann das Gegebene nicht überholen, wie Jürgen Habermas einmal von der Erkenntnistheorie sagte, aber sie kann es einholen. Auch in dem Sinn, in dem Fischer ihre Beutenetze einholen. Eine Ausstellung hat nicht nur herzuzeigen was war, sondern auch das, was im Kommen ist.
Es verwundert mich nicht, dass Ihre persönlichen Anschauungen - unabhängig von überall lauernden administrativen und kommunikativen Problemen – gerade auch in Zusammenhang mit dem Ausstellungskonzept, das ich für das Museum Brukenthal erarbeitet habe, als gegensätzliche aufeinander gestoßen sind. Sieht das Konzept doch vor, unseren Umgang mit den Bildern – auch desjenigen im Museum – zu thematisieren. Dies hatte sich mir in erster Linie aus dem Zusammenhang meiner bisherigen Arbeit nahe gelegt. Aber auch aus den Umständen, die mich nach Sibiu und in Ihr Haus geführt haben.
Eine von Doina Pauleanu (Direktorin des Kunstmuseums in Constanza) vorgeschlagene Ausstellung in ihrem Museum del Arte nämlich konnte wegen der dortigen Finanzlage nicht ohne fremde Unterstützung realisiert werden. Infolge aktueller politischer Entscheidungen stand das Museum im Frühjahr 2006 vor seinem drohenden katastrophalen Ende. Dieser Umgang mit dem Personal, den Beständen des Museums und seiner Aufgabe gegenüber zeitgenössischer Kunst veranlasste mich ein entsprechendes Ausstellungskonzept zu erarbeiten und darüber hinaus eine Kooperation mit der Stadt Sibiu anzuregen, um die Finanzschwäche in Constanta auszugleichen.
Meine weitere Arbeit führte schließlich dazu, dass eine hochrangige nationale Jury in Sibiu mein Ausstellungskonzept für das Museum Brukenthal zu realisieren und zu finanzieren beschloss. Dieses erste Konzept mit dem Titel „Umgang mit Bildern - Hinzufügungen“ hatte zwei zentrale Bedingungen zu berücksichtigen, die Frau Dan, als zuständige Kuratorin für moderne Kunst, im Frühjahr 2006 formulierte: Die zu planende Ausstellung konnte erstens auf keine eigens für zeitgenössische Kunst reservierten Räume (wie sie es in Constanza gab) zurückgreifen. Und zweitens mussten die historische Bestände ausgestellt beleiben. Mit anderen Worten, es standen keine Räume für eine Ausstellung zur Verfügung! Die Besichtigung alternativer Räume (wie die damals zum Umbau erst bestimmte städtische Galerie und das Anwesen Brukenthal außerhalb der Stadt) führten leider nicht weiter.
Vor dem Hintergrund meiner künstlerischen Arbeit war dies eine Herausforderung, aber kein unlösbares Problem.
Um den von Frau Dan formulierten Bedingungen gerecht zu werden, sah mein Konzept lediglich drei „Hinzufügungen“ vor, die die Hängung der vorhandenen Bilder unverändert ließ und keine Umbau- oder Veränderungsarbeiten notwendig machten.
1. An drei Fensterflächen (in nur einem der Ausstellungsräume mit historischen Bildern) sollten Kleinbild-Dias angebracht werden, die in Sibiu und in Freiburg in der Art von Touristenfotos aufgenommen wurden. Der visuelle Eindruck sollte dem von Kirchenfenstern gleichen und auf das „Quasi-Heilige“ verweisen, das alltägliche Bildproduktion heute kennzeichnet. Zugleich sollte dem Ausstellungsraum ein feierlich erhebender Aspekt hinzugefügt werden. Damit würde ein bereits latent vorhandenes Moment im derzeitigen Ausstellungsbetrieb ausdrücklich gemacht und herausgehoben werden. – Diese „Hinzufügung“ ist Bestandteil auch des zweiten Konzepts, weil sie sich (wie inzwischen gefordert) ebenso gut außerhalb, wie innerhalb der Fenster anbringen lässt.
2. a) Sollten im bisher für Ausstellungszwecke nicht genutzten Kassenraum – der für Besucher das Entree bildet – zwei Großfotos ausgestellt werden, die einen ersten Blick auf das im Museum zu Erwartende ermöglichen. Die Fotos zeigen beispielhaft, wie derzeit im Museum Bilder präsentiert werden. Dieser Vorblick auf das beim Museumsbesuch zu Erwartende sollte eine Parallele sein zu den Kunstpostkarten, die in diesem Kassenraum angeboten werden und ebenfalls eine Vorausschau auf die Bilder im Museum gestatten.
b) Wegen der neuerlich geänderten Vorgabe (überhaupt nicht innerhalb des Hauses zu operieren) musste dieser Teil des ursprünglichen Konzepts gestrichen werden. Damit wurde auch die Hinzufügung eines Kool Killer Objekts (KKS) zu einem einzelnen Bild und die Ausstellung weiterer KKS Objekte in einer dort vorhandenen Vitrine hinfällig. Stattdessen werden an der linken und rechten Wand im Durchgangsbereich zum Museumsaufgang erstens eine paarweise Ausstellung aller Kunstpostkarten des Museums und zweitens eine symmetrische Videoprojektion (Running Fence) den Transitstaus dieses Raumes erfahrbar machen.
3. Sollte im Innenhof der Museumsanlage das Unmögliche möglich gemacht werden, indem dort ein Segelflugzeug „niederkommt“ und eine Erfahrung bietet, die später nur noch „sagenhaft“ weiter erzählt werden kann: Ein richtiges Flugzeug sei im Museumsinnenhof zu sehen gewesen! Im Innersten des Museums also eine unerwartete Erscheinung, die durch einen zurückgelassenen Kinderwagen für die ganze Dauer der Ausstellung rätselhaft bleibt. – Dieser Teil des ursprünglichen Konzepts konnte modifiziert beibehalten werden.
Mit alle dem sollte respektvoll, und den Vorgaben entsprechend, das historisch Gegebene, das im Museum Gefeierte, unterstrichen und ausdrücklich thematisiert werden. Ganz davon abgesehen, dass alle Hinzufügungen im ersten wie im zweiten Konzept reversibel sind und allenfalls in der Erinnerung der Besucher Narben hinterlassen, sind sie geeignet das Besondere eines historischen Museums – nicht nur des Brukenthal Museums – durch Bezugnahme auf aktuelle Umgangsformen mit Bildern herauszustellen und Einblicke in unsere gegenwärtigen Verhältnisse zu gewähren. Der Umgang mit Bildern nämlich ist nicht nur ein verlässlicher Indikator für die Lebenswelt der Chromanionmenschen in den Höhlen von Chauvet oder 17000 Jahre später noch in den Höhlen von Lascaux, nicht nur Schlüssel zur versunkenen Welt der Menschen in Pompeji, der Nazis unter Hitler, der Kommunisten unter Ceaucescu, sondern eben auch für unsere eigene Lebenswelt. Überall zeigt sich in Bildern, als den sprachlosen Verobjektivierungen gesellschaftlicher Symptome, und dem Umgang den wir damit pflegen, woran eine Gesellschaft leidet, worauf sie baut.
Daher bin ich überzeugt, es könnte uns im Erkennen der Lage einen Schritt weiter führen, wenn es gelänge die Gründe zu explizieren, die zu Beifall und Ablehnung und zur Modifikation des ersten Konzepts geführt haben. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie in diesem Sinn einen Text für den Katalog beitragen würden. Ich stelle mir vor, dass Ihre Antwortschreiben und beide Ausstellungskonzepte ununterschieden dokumentiert werden und so einen Einblick in die aktuelle Arbeit in unserem Umgang mit Bildern gewähren. Die Publikation wäre dann keine übliche Dokumentation der Ausstellung, sondern ein Arbeitsbuch, das einen Bildungsprozess veranschaulicht.
Ihrer Antwort sehe ich mit Spannung entgegen und verbleibe mit freundlichen Grüßen aus Freiburg, den 22. Juli 2007
Richard Schindler